Zwei gebürtige Steyrer*innen mischen den Nachhaltigkeitsmarkt auf
Zu groß, zu klein, zum falschen Zeitpunkt reif, zu unförmig, nicht die richtige Farbe oder einfach nur zu viel: Es gibt viele Gründe, warum Obst und Gemüse, das vollkommen in Ordnung ist, im Müll landet. Das konnten die beiden gebürtigen Steyrer*innen Cornelia und Andreas Diesenreiter nicht mitansehen. Darum gründeten die beiden im März das Start-up „Unverschwendet“. Mit ihrem Betrieb haben sie einen Nerv getroffen. Wir haben mit der Wahlwienerin Cornelia, die heuer als „Nachhaltige Gestalterin Österreichs“ sowie zur Österreicherin und Unternehmerin des Jahres 2019 gekürt wurde, über die Erfolgsgeschichte von „Unverschwendet“ gesprochen.
Wo haben Sie in Steyr gelebt?
Zuerst haben wir auf der Ennsleite gewohnt, später haben meine Eltern in Behamberg ein Haus gebaut.
Wie war Ihr Werdegang?
Ich habe das neue Gymnasium in Steyr besucht und dann das Tourismuskolleg in Bad Leonfelden. Es war mein Traum, Köchin zu werden, weil ich Lebensmittel immer schon total faszinierend fand. Beim Pflichtpraktikum in einer Kantine habe ich aber schnell gesehen, dass ich eine sehr romantisierte Vorstellung von diesem Beruf hatte. Erste wirtschaftliche Fächer im Kolleg haben dann mein Interesse für wirtschaftliche Themen geweckt. Dieses Wissen wollte ich vertiefen. Darum habe ich im Anschluss in Salzburg Recht und Wirtschaft studiert.
In dieser Zeit hat es mich sehr gestört, dass in diesem Bereich nur die Wirtschaft zählte, nichts Nachhaltiges. Ich wollte aber unbedingt Wirtschaft und Umwelt in Einklang bringen. Es war mir nämlich schon als kleines Kind wichtig, nachhaltig zu sein, auch wenn ich dieses Wort damals noch nicht kannte. Darum ging ich nach meinem Studium in Salzburg nach Wien, um an der Universität für Bodenkultur Umwelt- und Bioressourcenmanagement zu studieren.
Wie ist die Idee für „Unverschwendet“ entstanden?
Ich habe noch ein weiteres Studium absolviert: „Design und Innovation for Sustainability“ in London. Dort kam bei einer Restmüllanalyse ein Truck mit 1,5 Tonnen Restmüll und hat diese vor uns ausgeleert. Wir Studierenden mussten ihn sortieren. 400 kg davon waren Lebensmittel! Das hat mich unglaublich berührt. Ich habe deshalb meine Master-Arbeit über dieses Thema geschrieben.
Als ich nach Österreich zurückkehrte, war ich unglaublich motiviert. Es gab aber keine Jobs, die mit der Vermeidung von Lebensmittelabfällen zu tun hatten. Mein ganzer Werdegang hat mich dann zur Idee von „Unverschwendet“ inspiriert. Schon parallel zum Studium in Wien hatte ich einen ersten Verein gegen Lebensmittelverschwendung gegründet. Ich hatte aber nie vor, mich selbstständig zu machen. Die Resonanz war aber so gut, dass mein Bruder und ich gemeinsam „Unverschwendet“ gegründet haben.
Wie viel Obst und Gemüse haben Sie in den letzten Jahren gerettet?
Bis jetzt sind es 150 Tonnen. Angeboten wurden uns schon mehr als 10.000 Tonnen. Das zeigt, dass es sehr, sehr viel Potenzial nach oben gibt.
Wie viele Unternehmen beliefern Sie mittlerweile?
In unserer Datenbank sind mehr als 300 Betriebe. Es ist aber so, dass wir nur von einer geringen Zahl die Überschüsse tatsächlich übernehmen können. Wir hatten sogar schon Anrufer aus Norddeutschland, die uns 100 Tonnen Gurken anboten. Essiggurken müssen nämlich eine ganz genau definierte Größe haben. Wenn sie ein bisschen zu groß oder zu klein sind, sind sie gleich Ausschuss. So eine Anfrage überschreitet aber leider unsere Kapazitäten.
Wie viele Mitarbeiter hat „Unverschwendet“?
Wir sind mittlerweile zu elft.
Was war das erste Produkt, das Sie entwickelten?
Das war ein Kirsche-Gin-Fruchtaufstrich.
Kann man Ihre Produkte auch in Steyr kaufen?
Im Moment leider noch nicht. Wir sind aber dran, dass sie in Feinkost- oder Geschenkeshops gelistet werden. Das ist ein großes Ziel von uns. Letztes Jahr waren unsere Produkte durch eine österreichweite Billa- und Merkur-Aktion auch in unserer Heimatstadt erhältlich. Meine Mama hat sich so gefreut, dass sie unsere Produkte beim Billa in Steyr kaufen konnte.
Was ist Ihr Lieblingsprodukt?
Ich liebe den Wassermelonen-Pfeffer-Sirup. Er schmeckt wie Sommer im Glas – egal ob mit Wasser oder Gin.
Erfolg sorgt für Nachahmer. Es sprießen immer mehr Unternehmen aus dem Boden, die Ähnliches wie „Unverschwendet“ anbieten. Stört Sie das?
Das Konkurrenzdenken im Bereich Nachhaltigkeit ist nicht groß. Es gibt so viele Überschüsse. Wir sind froh, dass sich immer mehr engagieren. Darum tauschen wir uns auch laufend mit anderen aus, wie wir gemeinsam noch mehr Lebensmittel retten können.
Sie haben vor kurzem Ihr Buch „Nachhaltig gibt’s nicht“ veröffentlicht. Warum war es Ihnen ein Bedürfnis, dieses Buch zu schreiben?
Ich bin vom Verlag gefragt worden, weil er gern ein Buch zum Thema Nachhaltigkeit veröffentlichen wollte. Ich war sofort Feuer und Flamme. Es freut mich immer, wenn ich über mein Herzensthema schreiben darf. Ich habe mich bewusst gegen einen weiteren Ratgeber entschieden, weil ich glaube, dass Nachhaltigkeit etwas ganz anderes braucht: nämlich grundlegendes Verständnis, was Nachhaltigkeit bedeutet.
Wer sollte Ihr Buch lesen?
Grundsätzlich habe ich es für alle geschrieben. Der Titel ist bewusst provokant. Einerseits spricht er jene an, die sich durch das Buch auf die Zehen getreten fühlen, weil sie denken, dass sie schon nachhaltig leben. Die will ich wachrütteln, weil man nicht überheblich werden darf. Andererseits spreche ich alle an, die sagen, dass es Nachhaltigkeit gar nicht gibt, dass sie eine Lüge und Geldmacherei ist.
Wie kommt Ihr Buch an?
Die Provokation hat gut funktioniert. Die Resonanz ist sehr positiv, weil ich nicht den moralischen Zeigefinger erhebe und verurteile, sondern den Leserinnen und Lesern das Gefühl gebe, dass es in Ordnung ist, wenn man nicht perfekt ist.
Was machen Sie selbst, um nachhaltig zu leben?
Alles, was wir tun, hat nachhaltige Konsequenzen. Das soll aber nicht frustrieren, sondern dazu motivieren, sich immer für die nachhaltigere Option zu entscheiden. Die Freude, Gutes zu tun, ist bestärkend. Aber man muss nicht immer perfekt sein. Auch ich begehe noch Nachhaltigkeitssünden, die mich noch länger begleiten werden. Beispielsweise würde ich gern vegan leben, weil das sehr gut für die Umwelt ist, aber Käsepizza ist bis heute mein Laster.
Was sind Ihre Tipps: Wie startet man ein nachhaltigeres Leben am besten?
Es ist ganz wichtig, sich nicht selbst zu überfordern. Darum bin ich strikt gegen Ratgeber. Ich muss schauen, was zu mir und meinem Lebensstil passt, und mit dem beginnen, was leichtfällt. Wenn man sich gleich überfordert, wird man frustriert und hört auf. Darum sollte man mit Kleinigkeiten beginnen. Erste Erfolgserlebnisse sollte man feiern. Durch dieses tolle Gefühl will man dann mehr machen.
Kommen Sie noch öfter nach Steyr?
Natürlich. Jetzt schätze ich richtig, wie wunder-, wunderschön Steyr ist – die Altstadt, Zwischenbrücken, hier bummle ich sehr, sehr gern.